Urteil
Ablehnung von Prozesskostenhilfe für die Klage um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für eine Umschulung - Kein einstweiliger Rechtsschutz

Gericht:

LSG Nordrhein-Westfalen 1. Senat


Aktenzeichen:

L 1 AL 221/10 B ER | L 1 AL 220/10 B


Urteil vom:

28.10.2010


Tenor:

Die Beschwerden der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 9.7.2010 werden zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist SGB II-Leistungsempfängerin. Sie beantragte am 30.1.2007 bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Am 4.11.2009 wurde die Antragstellerin zur Prüfung ihrer Umschulungsfähigkeit für den Beruf der Tischlerin psychologisch begutachtet; es bestanden Zweifel an einer ausreichenden psychischen Belastungsfähigkeit für Vollzeittätigkeiten. Eine intensive Erprobung mit dem Ziel der Vorbereitung einer Umschulung wurde vereinbart (Eingliederungsvereinbarung vom 12.7.2010), aber von der Antragstellerin nicht weiter verfolgt. Einen Antrag der Antragstellerin auf Förderung einer Umschulung zur Masseurin und medizinischen Bademeisterin, für die die Antragstellerin sich als gesundheitlich ausreichend wieder hergestellt ansah, lehnte die Antragsgegnerin aus gesundheits- und arbeitsmarktbedingten Gründen ab (Bescheid vom 11.5.2010).

Die Antragsgegnerin hat daraufhin bei dem Sozialgericht Münster beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die am 4.10.2010 beginnende Ausbildung zur staatlich geprüften Masseurin und medizinischen Bademeisterin zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Das Sozialgericht hat den Antrag der Klägerin abgelehnt und zugleich der Antragstellerin die beantragte Prozesskostenhilfe versagt. Auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses vom 9.7.2010 wird Bezug genommen.

Hiergegen richten sich die Beschwerden vom 27.7.2010. Am 5.8.2010 hat die Antragstellerin gegen den ebenfalls ablehnenden Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 5.7.2010 eine noch anhängige Klage auf Neubescheidung ihres Förderantrages unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erhoben.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
https://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2013/A4...

Rechtsweg:

SG Münster Beschluss vom 09.07.2010 - S 3 AL 327/10 ER

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die Antragstellerin hat keinen im Eilverfahren durchsetzbaren Anspruch auf (vorläufige) Übernahme der Kosten für die ins Auge gefasste Maßnahme. Mangels Erfolgsaussicht des Eilantrags hat sie deshalb auch keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe.

Zu Recht verweist das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit Bezug genommen wird (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG), darauf, dass es bereits an einem Anordnungsgrund fehlt. Offenbar wird die angestrebte Fortbildungsmaßnahme von dem von der Antragstellerin allein ausgewählten Träger jeweils halbjährlich neu angeboten, wobei der Kurs im April 2010 wegen mangelnder Teilnehmerzahl nicht stattfand, so dass die Antragstellerin sich zum Oktober 2010 neu anmeldete. Sie hat bereits im August 2010 Klage gegen die Ablehnung der Förderung erhoben. Welche erheblichen, nicht wieder gut zu machenden Nachteile die Antragstellerin erleidet, wenn sie das Ergebnis dieses Klageverfahrens abwartet, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Ein späterer Maßnahmebeginn ist offenbar möglich.

Auch an einem Anordnungsanspruch fehlt es. Die Beklagte ist entgegen ihrer (abweichend von ihrer Stellungnahme vom 18.2.2010 im Verfahren SG Münster S 1 AL 100/10 ER) jetzt im Klageverfahren geäußerten Auffassung für Entscheidungen im Zusammenhang mit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an die Antragstellerin nicht zuständig (vgl. zum Folgenden: Senatsbeschluss vom 8.10.2010, L 1 B 27/09 AL). Sie hat der Antragstellerin, die nach ihren Feststellungen Behinderte iSd §§ 19 SGB III und 2 SGB IX ist, keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen, auch wenn sie für eine dauerhafte berufliche Eingliederung erforderlich sind. Da die erwerbsfähige Antragstellerin stets Leistungen nach dem SGB II bezog, auch solche nach § 16 Abs. 3 SGB II (deren Angabe im PKH-Antrag unterblieb), hat die Bewilligung erforderlicher Reha-Maßnahmen durch den SGB II-Leistungsträger, also die für sie zuständige Arge, zu erfolgen. Dies folgt hinsichtlich des eigenen Leistungsrechts der Antragsgegnerin, dem SGB III, aus § 22 Abs. 4 SGB III, wonach die in dieser Vorschrift genannten Leistungen der Arbeitsförderung für Berechtigte nach dem SGB II nicht durch die Beklagte erbracht werden. Da § 22 Abs. 4 SGB III mit den §§ 97ff SGB III auch die Leistungen zur beruflichen Teilhabe aus dem Leistungskatalog des SGB III ausschließt und § 16 SGB II die Zuständigkeit für die Bewilligung dieser Leistungen ins SGB II hinein übernimmt, hat die Antragsgegnerin Recht mit ihrer am 18.2.2010 geäußerten Auffassung, dass Ihre Zuständigkeit für die Bewilligung derartiger Leistungen entfallen ist (ebenso Eicher, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 16, Rn. 45).

Für Teilhabeleistungen an erwerbsfähige Hilfebedürftige - wie die Antragstellerin - ist die Antragsgegnerin aber auch nach dem SGB II (iVm. § 6a SGB IX) unzuständig. Zwar bleibt die Antragsgegnerin Rehabilitationsträger der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn diese auf der Grundlage des SGB II erbracht werden (§ 6a Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Als Rehabilitationsträger für erwerbsfähige Hilfebedürftige hat die Antragsgegnerin aber keine eigene Entscheidungskompetenz. Ihre Aufgaben sind in § 6a Satz 3 und 4 SGB IX genannt: Die Bundesagentur für Arbeit unterrichtet die zuständige Arbeitsgemeinschaft und den Hilfebedürftigen schriftlich über den festgestellten Rehabilitationsbedarf und ihren Eingliederungsvorschlag. Die Arbeitsgemeinschaft (nicht die Antragsgegnerin) entscheidet unter Berücksichtigung des Eingliederungsvorschlages innerhalb von drei Wochen über die Leistungen zur beruflichen Teilhabe. Das bedeutet für den konkreten Fall, dass trotz der Rehabilitationsträgerschaft der Antragsgegnerin die Entscheidungskompetenz über die zu erbringenden Leistungen nicht bei dieser, sondern beim SGB II-Leistungsträger liegt (§ 6a Abs. 1 Satz 4 SGB IX; Götze, in: Hauck/Noftz, SGB IX, K § 6a Rn. 5, 6), der hier ja auch schon tätig geworden ist und Leistungen zur Eingliederung gewährt hat.

§ 14 SGB IX, der unter bestimmten Voraussetzungen abweichend von der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung eine Zuständigkeit des erstangegangenen Leistungsträgers vorsieht, führt hier nicht zu einem anderen Ergebnis, weil der SGB II-Träger durch die Bewilligung von Teilhabeleistungen bereits seine grundsätzliche Zuständigkeit bejaht hat und eine Doppelzuständigkeit durch § 22 Abs. 4 SGB III ausgeschlossen wird (vgl. Eicher, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 16, Rn. 6, 97).

Da demnach weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht sind, fehlt es dem Eilantrag an der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Erfolgsaussicht (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO). Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Sozialgericht ein entscheidungsreifer PKH-Antrag vorlag. Insoweit weist die Antragstellerin zu Recht darauf hin, dass Ihr ein Antragsvordruck ausgehändigt wurde, der für SGB II-Empfänger bestimmte Angaben (fälschlich) als entbehrlich bezeichnet. Andererseits hatte die Antragstellerin aber nach den jetzt vorgelegten Kontoauszügen über Ihre Angaben im Antrag hinausgehende Zahlungseingänge.

Außergerichtliche Kosten sind in entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG nicht zu erstatten, da das Eilverfahren ohne Erfolg geblieben ist. Kosten des Beschwerdeverfahrens über die Bewilligung von PKH sind ebenfalls nicht erstattungsfähig (§§ 73a SGG, 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).

Referenznummer:

R/R4704


Informationsstand: 09.02.2011