In den vergangenen Jahren hat es auf der Ebene der Politik und der Rechtsprechung verschiedene gesetzliche und politische Bestrebungen gegeben, damit auch Menschen mit Hörschädigung (schwerhörig, ertaubt, gehörlos) besser am Arbeitsleben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das
SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) (Welti, 2001) hat viele Möglichkeiten und Potenziale zur Verbesserung der Situation eröffnet. Als konkretes Beispiel sei die Regelung für die Arbeitsassistenz in § 102
Abs. 4
SGB IX genannt. So besteht bei besonderem Unterstützungsbedarf für schwerbehinderte Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich am Arbeitsplatz durch eine Arbeitsassistenz unterstützen zu lassen. Bei hochgradig schwerhörigen, ertaubten oder gehörlosen Arbeitnehmern kann eine Arbeitsassistenz dann erforderlich sein, wenn der gelegentliche Einsatz von Schrift- und/ oder Gebärdensprachdolmetschern nicht ausreicht, um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu erlangen oder zu erhalten.
In Kooperation mit dem Deutschen Schwerhörigenbund (DSB) e.V. und dem Deutschen Gehörlosen-Bund (
DGB) e.V. wurde im Zeitraum von Juli 2010 bis Januar 2011 eine bundesweite schriftliche Befragung zu den Arbeitsbedingungen und Kommunikationskontexten durchgeführt. Diese erfolgte mittels eines textoptimierten Fragebogens, der wahlweise in Papierform als auch im Rahmen einer Online-Befragung, welche durch Gebärdensprach-Videos barrierefrei aufbereitet wurde, zur Verfügung stand (Weber
et al., 2012).
Insgesamt beteiligten sich 5.435 schwerhörige, ertaubte und gehörlose Menschen an der Umfrage, es konnten die Fragebögen von 4.825 Teilnehmenden zur Auswertung herangezogen werden, 3.189 Befragte gaben an, zum Zeitpunkt der Befragung berufstätig zu sein. Von diesen nehmen 10,9 % (n=348) das Recht auf eine Arbeitsassistenz inanspruch. Die bivariaten Zusammenhangsanalysen ergaben für die Variablen Grad der Hörschädigung, Alter, Stellung im Beruf, Grad der Gesetzeskenntnis, Arbeitgeber und Informationen zu rechtlichen Belangen durch das Integrationsamt signifikante Zusammenhänge. Diese sind durchgängig als sehr gering einzuschätzen. Im Endmodell einer multiplen binären logistischen Regression zeigte sich, dass neben dem Grad der Hörschädigung, dem Alter, dem Arbeitgeber und der beruflichen Stellung der Erhalt von Informationen zu rechtlichen Belangen durch das Integrationsamt einen positiven Effekt auf die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme einer Arbeitsassistenz hat. Einen ebenfalls positiven Einfluss auf die Nutzung einer Arbeitsassistenz hat ein hoher Gesetzeskenntnisgrad.
Die Ergebnisse des GINKO Projekts zeigen, dass etwa 10,9 % der befragten Teilnehmenden das Recht auf eine Arbeitsassistenz an ihrem Arbeitsplatz inanspruchnehmen. Dabei ist insbesondere der Einfluss der Gesetzeskenntnis der Teilnehmenden und des Erhalts von Informationen durch das Integrationsamt auf die Inanspruchnahme dieses Rechts aus der Forschungsperspektive des GINKO-Projekts von Interesse, da es sich hier um Kontextfaktoren im Sinne der
ICF handelt, auf die von Seiten der Politik aber auch von der Betroffenenverbände Einfluss genommen werden. So kann die Gesetzeskenntnis durch mehr zielgruppenspezifische Informationen (zum Beispiel auch durch Gebärdensprachfilme) erhöht werden. Aber auch eine umfassende Beratung zu möglichen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowohl der Arbeitnehmer aber auch der Arbeitgeber durch die Integrationsämter spielt bei beruflichen Teilhabe von Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung eine wichtige Rolle und sollte auf jeden Fall in Zukunft weiter ausgebaut und unterstützt werden.