Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124
Abs. 2
i.V.m. § 153
Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)). Die nach § 151
Abs. 1
SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144
Abs. 1 Satz 2
SGG). Sie ist auch in der Sache begründet. Das SG hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, rückwirkend höhere Grundsicherungsleistungen zu erbringen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nicht die Höhe des Anspruches auf Grundsicherung insgesamt. Der Kläger begehrt höhere Leistungen nur unter dem Gesichtspunkt eines Mehrbedarfes. Hiervon sind die Kosten der Unterkunft und Heizung als abtrennbarer und einer selbständigen Regelung zugänglicher Anspruch nicht betroffen; Abweichendes wird auch vom Kläger nicht geltend gemacht. Diese sind somit nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. In zeitlicher Hinsicht ist streitbefangen nur der Zeitraum vom 6. Juli 2004 bis 30. September 2005.
Für die Zeit bis 31. Dezember 2004 waren dem Kläger Grundsicherungsleistungen durch den Bescheid vom 10. August 2004 und die hierzu ergangenen Aufhebungs- und Änderungsbescheide vom 27. und 28. Oktober, 10. und 28. Dezember 2004 bewilligt worden. Die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 2005 erfolgte mit Bescheid vom 18. Februar 2005. Diese Bescheide wurden vom Kläger sämtlich nicht mit Widerspruch angefochten und sind somit bestandskräftig geworden. Die Zuerkennung eines höheren Leistungsanspruches setzt daher die Abänderung dieser Bescheide voraus. Als Rechtsgrundlage hierfür kommt § 48
Abs. 1
S. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB X) in Betracht,
bzw. für die auf das bis zum 31. Dezember 2004 geltende GSiG gestützten Bewilligungsbescheide (
vgl. hierzu nunmehr Bundessozialgericht (
BSG), Urteil vom 26. August 2008 -
B 8 SO 26/07 R - (juris)) die entsprechende landesrechtliche Vorschrift des § 48 Landesverwaltungsverfahrensgesetz. Denn mit der Zuerkennung des Merkzeichens G ab 6. Juli 2004 wäre - die Rechtsansicht des Klägers zugrunde gelegt - die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide durch eine rückwirkende Änderung der Sachlage eingetreten. Eine solche ist nicht nach § 44
SGB X, sondern nach § 48
Abs. 1
S. 2
SGB X zu beurteilen (
BSG SozR 3-2600 § 93
Nr. 3; Steinwedel in KassKomm,
SGB X, § 44
Rdnr. 29
m.w.N.).
Nach § 48
Abs. 1
SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Satz 2
Nr. 1).
Die Bewilligungsentscheidungen des Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum sind jedoch nicht rechtswidrig (geworden), insbesondere war bei der Bedarfsberechnung auch unter Berücksichtigung der rückwirkenden Zuerkennung des Merkzeichens G kein Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung und Zuerkennung des Merkzeichens zu berücksichtigen. Für die Zeit vom 6. Juli bis 31. Dezember 2004 bestimmt sich der Leistungsanspruch des Klägers noch nach den Regelungen des GSiG in der Fassung vom 26. Juni 2001.
Nach § 3
Abs. 1 GSiG umfasst die bedarfsorientierte Grundsicherung u.a. (
Nr. 1) den für den Antragsberechtigten maßgebenden Regelsatz zuzüglich 15 vom Hundert des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes nach dem Zweiten Abschnitt des BSHG und (
Nr. 4) einen Mehrbedarf von 20 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes nach
Nr. 1 bei Besitz eines Ausweises nach § 4
Abs. 5 des Schwerbehindertengesetzes (jetzt
§ 69 Abs. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX)) mit dem Merkzeichen G. Für den Einsatz von Einkommen und Vermögen gelten nach
Abs. 2 die §§ 76 bis 88 BSHG und die dazu erlassenen Rechtsvorschriften entsprechend.
Für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 2005 bestimmt sich der Anspruch des Klägers auf Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach den Vorschriften der
§§ 41 ff SGB XII. Diese umfassen nach
§ 42 S. 1 Nr. 3 SGB XII u.a. die Mehrbedarfe nach § 30
SGB XII. Danach wird für Personen, die unter 65 Jahren und voll erwerbsgemindert nach dem
SGB VI sind und einen Ausweis nach § 69
Abs. 5
SGB IX mit dem Merkzeichen G besitzen, ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht (§ 30
Abs. 1
Nr. 2
SGB XII in der vom 1. Januar 2005 bis 06. Dezember 2006 geltenden Fassung vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I
S. 3022)).
Nach dem Wortlaut beider Regelungen kommt es somit auf den Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen G an. Nicht abgestellt wird auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Schwerbehinderung und des Merkzeichens G oder deren Feststellung. Es genügt nicht, dass ein Hilfesuchender einen solchen Ausweis beantragt hat und dass eine rückwirkende Bewilligung in Betracht kommt oder später tatsächlich erfolgt. Die Unbeachtlichkeit einer nachträglichen Bewilligung des Merkzeichens G für einen bereits abgeschlossenen Zeitraum lässt sich zwar den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen; auch die entsprechende Regelung des § 23 BSHG in der Fassung vom 23. Juli 1996 ist erst auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses und damit ohne Begründung in das Änderungsgesetz aufgenommen worden (BT-Drucks. 13/4687,
S. 2). Die Auslegung ergibt sich jedoch aus dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung.
Dieser stellt nicht darauf ab, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung des Merkzeichens G vorliegen und geltend gemacht worden sind. Wäre das Gesetz entsprechend formuliert worden, so müsste, wenn sich die Voraussetzungen des Merkzeichens trotz rechtzeitiger Geltendmachung und Darlegung erst nach Ablauf eines Bewilligungszeitraums für Hilfe zum Lebensunterhalt abschließend klären lassen, das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens G auch noch im Nachhinein berücksichtigt werden. Der Wortlaut der Bestimmung stellt jedoch eindeutig auf den Besitz eines Ausweises mit dem Merkzeichen G, also auf das Innehaben im Bewilligungszeitraum ab (ebenso für die entsprechende Vorschrift des § 23 BSHG Oberverwaltungsgericht (
OVG) Berlin, FEVS 55, 271;
OVG Lüneburg, FEVS 53, 445 und Beschluss vom 14. Januar 2004 - 12 PA 562/03 - (juris); zu § 30
SGB XII Wenzel in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Auflage,
SGB XII § 30
Rdnr. 12;
a. A. Grube in Grube/ Wahrendorf,
SGB XII, 2. Aufl., § 30
Rdnr. 11, 12).
Daher liegt auch nicht der vom SG gesehene Widerspruch zur Regelung des § 40 Abs 1
SGB I vor. Denn danach entstehen Ansprüche auf Sozialleistungen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Auch nach dieser Vorschrift kann somit der Anspruch auf Sozialhilfe unter Einschluss des streitigen Mehrbedarfs nicht entstehen, bevor die Anspruchsvoraussetzung "Besitz eines Ausweises" vorliegt.
Die mit Wirkung zum 7. Dezember 2006 (durch Gesetz vom 2. Dezember 2006 (BGBl. I
S. 2670)) erfolgte Änderung des § 30
Abs. 1
SGB XII spricht für dieses Verständnis. Nach der Neufassung wird der Mehrbedarf anerkannt für Personen, die u.a. durch einen Bescheid der nach § 69
Abs. 4
SGB IX zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69
Abs. 5
SGB IX die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen. Zwar ist dem SG zuzustimmen, dass dieser Wortlaut nicht eindeutig den Zeitpunkt festlegt, ab dem der Mehrbedarf anzuerkennen ist. Auf den "Besitz" eines Ausweises oder Bescheides wird nicht ausdrücklich abgestellt. Andererseits genügt nach wie vor nicht, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen G vorliegen; sie müssen durch Bescheid oder Ausweis nachgewiesen sein. Ein solcher Nachweis ist erst nach Ergehen des Bescheides oder Ausstellung des Ausweises möglich. Dass der Gesetzgeber abweichend von der bisherigen Regelung und der Vorgängerregelung des § 23
Abs. 1 BSHG nunmehr den Nachweis auf vor Erlass des Feststellungsbescheides liegende Zeiträume erstrecken wollte, ergibt sich aus dem Wortlaut der Neuregelung nicht.
Eine solche Auslegung widerspricht auch dem gesetzgeberischen Willen, wie er sich aus der amtlichen Begründung ergibt (BT-Drucks. 16/2711). Danach wird anerkannt, dass nach der bis dahin geltenden Rechtslage der Mehrbedarf davon abhängig sei, dass die Leistungsberechtigten tatsächlich einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis besäßen; der Besitz eines entsprechenden Feststellungsbescheides reiche nicht aus. Dies habe - unter Verweis auf die o.g.
OVG - Rechtsprechung - zur Folge, dass der Mehrbedarf auch erst ab dem Zeitpunkt der Ausstellung des Schwerbehindertenausweises in Anspruch genommen werden könne. Für die bis 6. Dezember 2006 geltende Fassung hat der Gesetzgeber diese Auslegung somit nicht beanstandet, sondern als Grund für eine Rechtsänderung - nicht Klarstellung - genommen. Diese Rechtsänderung beschränkt sich des Weiteren offenbar - was hier aber nicht mehr relevant wird - darauf, den Feststellungsbescheid über das Merkzeichen hinsichtlich der Wirkung für die Anerkennung des Mehrbedarfs dem Schwerbehindertenausweis gleichzustellen. Denn in der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass die bisherige Rechtslage dazu führe, dass der Mehrbedarf regelmäßig erst mehrere Wochen nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides, nämlich ab Ausstellung des Schwerbehindertenausweises, in Anspruch genommen werden könne, obgleich Bescheid und Ausweis faktisch denselben Beweiswert hätten.
Außerdem könne ein Teil der Leistungsberechtigten bis auf den Mehrbedarf keine Vorteile aus dem Ausweis ziehen; die Mehrzahl der Leistungsberechtigten würde daher voraussichtlich aufgrund der Änderung auf die Ausstellung des Ausweises verzichten. Die Änderung erleichtere somit den Zugang der Leistungsberechtigten zu den ihnen zustehenden Leistungen, indem sie sie von nicht erforderlichen Behördengängen
bzw. vermeidbarem Schriftverkehr mit Behörden entlaste. Sie trage auch zum Abbau von Verwaltungsaufwand bei den nach dem
SGB IX zuständigen Behörden und den Sozialhilfeträgern bei. Aus dieser Begründung wird deutlich, dass auch der ändernde Gesetzgeber nicht davon ausgeht, dass der Mehrbedarf vor Erteilung des Feststellungsbescheides in Anspruch genommen werden kann. Verzichtet werden soll nun nur auf die Ausstellung eines den Feststellungsbescheid umsetzenden Ausweises nach § 69
Abs. 5
SGB IX. Die frühere Inanspruchnahme des Mehrbedarfes ist nur insoweit als Folge vorgesehen, als die Ausstellung des Schwerbehindertenausweises entfällt, die "mehrere Wochen nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides" dauern könne.
Die Bewilligungsentscheidungen sind im zur Überprüfung gestellten Umfange auch nicht aus anderen Gründen zu Lasten des Klägers rechtswidrig. Der Beklagte hat das Einkommen des Klägers aus der Nebentätigkeit unter Berücksichtigung des maßgebenden Freibetrages zutreffend in zutreffender Höhe angerechnet, was der Kläger im Übrigen auch nicht in Abrede stellt. Die Berücksichtigung einer Energiekostenpauschale betrifft allein die hier nicht streitbefangenen Kosten der Unterkunft und Heizung. Soweit der Beklagte das dem Kläger im Dezember 2004 zufließende Wohngeld i.H.v.
EUR 388.- nicht berücksichtigt hat, stellt dies jedenfalls keine den Kläger belastende Entscheidung dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160
Abs. 2
Nr. 1 und 2
SGG) liegen nicht vor. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Vorschriften des § 3 GSiG und § 30
Abs. 1
Nr. 2
SGB XII mit dem hier entscheidend zugrunde gelegten Wortlaut bereits außer Kraft getreten sind.