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Urteil
Rückwirkende Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft und des Merkzeichens G - Kein rückwirkender Anspruch auf Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII

Gericht:

LSG Niedersachsen-Bremen


Aktenzeichen:

L 8 SO 219/07


Urteil vom:

25.02.2010


Kurzbeschreibung:

Der Kläger, dauerhaft und voll erwerbsgemindert, bezieht seit dem Jahr 2003 Grundsicherungsleistungen. Mit Bescheid des Versorgungsamtes im Jahr 2001 wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt. Mit einer seit Juli 2003 betriebenen Klage machte der Kläger einen höheren GdB geltend. Auf die gutachterliche Empfehlung anerkannte die seinerzeit Beklagte im September 2006 im Verfahren vor dem Sozialgericht einen GdB von 60 und das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens G und zwar seit 1. Februar 2004. Auf dieser Grundlage erging am 11. Oktober 2006 ein Ausführungsbescheid. Der Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen G datiert vom 23. Oktober 2006, gültig ab 1. Februar 2004. Der Kläger beantragte sodann, ihm den Mehrbedarf ab Gültigkeitsdatum des Schwerbehindertenausweises zu gewähren. Der beklagte Sozialhilfeträger lehnte ab und leistete den Mehrbedarf lediglich ab Oktober 2006. Im Rahmen erneuten sozialgerichtlichen Rechtsschutzes beanspruchte der Kläger weiterhin für die Zeit zwischen 1. Februar 2004 und Oktober 2006 den Mehrbedarf und trug vor, bereits in seinen auf die Regelleistung gerichteten Leistungsanträgen auf das laufende Klageverfahren über das Merkzeichen G hingewiesen zu haben.

Hinweis:

Fachbeiträge zum Thema finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2011/A6-...

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Diskussionsforum der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR)

Gründe:

Das LSG Niedersachsen-Bremen wies die Berufung des Klägers zurück. Der Mehrbedarf könne erst ab dem tatsächlichen Innehaben des Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen G geleistet werden. Unter dem Gesichtspunkt, dass der Ausweis lediglich Nachweisfunktion für das besondere Merkzeichen habe, stellte das Gericht zunächst Erwägungen über ein weites Verständnis des § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII an. Unter Berücksichtigung vergleichbarer Vorschriften und hierzu ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung meinte es sodann in einer deutlichen Kehrtwendung, dass für eine weite Auslegung nichts gewonnen werden könne. Zwar habe das Bundessozialgericht für den Rentenbeginn nach § 236a Abs. 1 SGB VI eine rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft genügen lassen. Andererseits wurde eine rückwirkende Inanspruchnahme von Beförderungsleistungen nach § 145 SGB IX ausgeschlossen. Angeführt wird ebenso eine Entscheidung über den Bezug von Leistungen nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz für Ausländer nach der Vorschrift des § 1 Abs. 6 BErzGG. Auch danach sei es auf das tatsächliche Innehaben eines Aufenthaltstitels angekommen und nicht darauf, ob dieser früher hätte erteilt werden können oder müssen.

Schlussfolgernd resümiert das Gericht, dass eine einheitliche Auslegung unmöglich sei und vielmehr eine Betrachtung der jeweiligen Regelung im Einzelfall erfolgen müsse. Für die gebotene Einzelfallbetrachtung komme es dann doch wieder auf den Wortlaut des hier in Frage stehenden § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII an. Wie schon dessen Vorgängerregelung im GSiG, so knüpfe auch § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in seiner alten Fassung an den "Besitz" des Ausweises an. Es genüge nicht, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen G vorlägen; vielmehr gehe es um den Nachweis dieser Voraussetzungen, der nur mit dem Ausweis und damit auch erst nach dessen Ausstellung erbracht werden könne. Auch nach der Neufassung des § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII ab dem 7. Dezember 2006 habe der Gesetzgeber von der bisherigen Interpretation nicht abweichen wollen. Mit der eingefügten Gleichsetzung von bekanntgegebenem Feststellungsbescheid und Schwerbehindertenausweis sollte lediglich der Zeitraum zwischen dem Ergehen des Feststellungsbescheides und der Ausstellung des entsprechenden Ausweises zugunsten der Leistungsberechtigten erfasst werden. Von einer rückwirkenden Zuerkennung für Zeiten vor der Erteilung des Feststellungsbescheides sei in Ermangelung eines Hinweises auf dahingehende gesetzgeberische Erwägungen weiterhin nicht auszugehen.

Referenznummer:

R/R4817


Informationsstand: 12.04.2011