Urteil
Territorialprinzip bei der Feststellung eines GdB
Gericht:
LSG Bayern
Aktenzeichen:
L 15 SB 22/04
Urteil vom:
22.06.2004
LSG Bayern
L 15 SB 22/04
22.06.2004
Einem Behinderteren, der seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland hat, steht kein Anspruch Feststellungen nach dem SGB IX zu. Der deutsche Gesetzgeber war nämlich nicht gehindert, den Anspruch auf (deklaratorische) Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Territorialitätsprinzip auf Personen zu beschränken, die in der Bundesrepublik Deutschland dauerhaft Wohnsitz genommen haben bzw. sich nicht nur vorübergehend dort aufhalten. Über- bzw. zwischenstaatliches Recht steht nicht entgegen.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger in Anbetracht seines Wohnsitzes noch Anspruch auf Verlängerung seines Schwerbehindertenausweises hat.
Bei dem 1928 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Ausführungsbescheid vom 22.03.1982 nach dem Schwerbehindertengesetz ( SchwbG) ab 01.07.1980 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 50 v.H., d.h. die Schwerbehinderteneigenschaft fest. Dementsprechend wurde dem in München wohnenden Kläger ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt, dessen Gültigkeit bis Ende April 1987 befristet war. Bereits im Februar 1987 konnte dem Kläger ein Schreiben des Versorgungsamts München II unter seiner bisherigen Adresse in M. nicht zugestellt werden. Im April 1987 teilte dieser dem Landesversorgungsamt Bayern aus B. mit, er bitte um Verlängerung seines Schwerbehindertenausweises und Rücksendung an seinen derzeitigen Aufenthaltsort in Portugal, S.. Nach Rückfrage des Beklagten beim Einwohnermeldeamt der Landeshauptstadt München wurde dann der bis Ende April 1992 verlängerte Schwerbehindertenausweis nach B. übersandt, weil der Kläger nunmehr dort seinen Hauptwohnsitz habe. Auch im März 1992 wurde der bis März 1997 verlängerte Ausweis antragsgemäß an die Gemeinde B. übermittelt.
Am 03.02.1997 beantragte der Kläger die Ausstellung eines neuen Ausweises und teilte zur Begründung mit, dass er seit seiner Pensionierung seinen Rentner-/Altersruhesitz nach S. in Portugal verlegt habe, wo er sich überwiegend aufhalte. Ein Schreiben des Beklagten vom 13.02.1997 an die Adresse in B., in dem mitgeteilt wurde, dass der neue Ausweis bei der Gemeinde abgeholt werden könne, kam mit dem Postvermerk "unbekannt verzogen" zurück. Laut einer Gesprächsnotiz vom 27.05. 1997 teilte der Kläger damals mit, er wohne weiterhin in B., Portugal sei nur sein zweiter Wohnsitz. Er bitte um Ausstellung eines neuen Ausweises und Übersendung nach Portugal, was nach den Angaben des Klägers auch geschehen ist.
Am 21.06.2002 beantragte der Kläger die hier streitgegenständliche Ausstellung eines neuen Ausweises mit Eintragung des Merkzeichens "aG" infolge seiner schweren Herzerkrankung und gab an, seine neue Adresse in Portugal sei sein permanenter Altersruhesitz bzw. Aufenthaltsort.
Nachdem ihn der Beklagte in einem Anhörungsschreiben darauf hingewiesen hatte, dass bei ihm infolge seiner Wohnsitzverlegung ins Ausland gemäß § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) die Schwerbehinderteneigenschaft nicht mehr festgestellt werden könne und der Ausweis eingezogen werden müsse, erwiderte der Kläger, er kehre regelmäßig in die Bundesrepublik zu seinem Familienwohnsitz zurück und erhalte weiterhin Leistungen der deutschen Krankenversicherung. Er sei vom 02. bis 08.07.2002 stationär im Deutschen Herzzentrum in M. behandelt worden. Die anschließend gestellte Frage, in welchen Zeitabständen und für wie lange er sich in B. aufhalte, wollte er nicht beantworten, da es sich hierbei um seine Privatangelegenheit handle. Daraufhin erging am 14.08.2002 ein Bescheid des Beklagten, in dem der Antrag des Klägers, Feststellungen nach dem SGB IX zu treffen, abgelehnt wurde. Es könne auch kein neuer Schwerbehindertenausweis ausgestellt werden, da hierauf kein Anspruch bestehe, weil die Voraussetzung des rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts bzw. Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland (§ 2 Abs.2 SGB IX) nicht mehr erfüllt sei.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, weil er keineswegs seinen alleinigen Wohnsitz und Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen nach Portugal verlegt habe. Im Übrigen sei er auch in Deutschland wahlberechtigt.
Eine zweimalige Nachfrage bei der Gemeinde B. ergab, dass sich der Kläger überwiegend in Portugal aufhalte und in B. nur noch seine Ehefrau gemeldet sei. Eine nochmalige Rückfrage nach den Zeiträumen, in denen sich der Kläger in Deutschland bzw. Portugal aufhalte, beantwortete dieser einerseits mit nachdrücklichem Hinweis auf Art. 11 des Grundgesetzes sowie dahingehend, dass er sich (un)regelmäßig, aber mehr als sechs Monate jährlich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte.
Der Widerspruch des Klägers wurde anschließend mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2002 zurückgewiesen. Aus den Angaben des Klägers gehe hervor, dass er gemäß § 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) seinen Wohnsitz in Portugal genommen habe. Art. 11 Abs. 1 Grundgesetz beziehe sich nur auf die Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik.
Mit Schriftsatz vom 07.01.2003 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München erhoben und vorgetragen, er halte sich über unbestimmte, längere Zeiträume in Portugal und nicht überwiegend regelmäßig in der BRD auf. Er habe am 15.05.1997 einen Schwerbehindertenausweis erhalten, dessen Verlängerung und Erweiterung um das Merkzeichen "aG" er begehre. Das portugiesische Fremdenamt habe eine auf wenige Jahre begrenzte Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer für ihn für erforderlich gehalten; in diesem Zusammenhang sei wohl aus Versehen von einem Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung B. ohne sein Wissen eine Abmeldung nach Portugal vorgenommen worden. Er könne seine regelmäßigen Aufenthalte in der BRD beweisen, weil es sich ab 1998 ausschließlich um stationäre mehrwöchige Krankenhausaufenthalte gehandelt habe (z.B. Krankenhaus M., Uniklinik G., Deutsches Herzzentrum M., Herzklinik Bad N.). Somit sei sein Lebensmittelpunkt weiterhin Deutschland.
Nach entsprechender Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht München am 08.01.2004 die Klage durch Gerichtsbescheid abgewiesen. Das Sozialgericht hat keinen Anlass gesehen, die angefochtenen Bescheide des Beklagten zu beanstanden, da aus den Angaben des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren hervorgehe, dass er sich nur zu kurzfristigen Krankenbehandlungen in der Bundesrepublik Deutschland und im Übrigen überwiegend in Portugal aufhalte. Diese Einschätzung werde durch die Auskunft der Einwohnermeldestelle der Gemeinde B. vom 26.09.2002 bekräftigt.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und weiterhin eine Verlängerung des Schwerbehindertenausweises sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" begehrt. Die Auskunft der Gemeinde B., wonach er nicht mehr dort gemeldet sei, beruhe wohl auf einem Irrtum. Vielleicht sei dort ein falscher Eindruck entstanden, als er eine Lebensbescheinigung für seine Rentenversicherung beantragt habe. Seine Ehefrau sei noch dort wohnhaft. Die Ehe bestehe seit 49 Jahren und dort, wo seine Frau sei, halte er sich in der Regel in seinem fortgeschrittenen Alter ebenfalls auf, d.h. entweder in der BRD oder in Portugal. Er gehe davon aus, dass eine siebenstellige Zahl von Bundesbürgern es mit ihrem Alterswohnsitz ebenso handhaben würden. Es sei unverständlich, weshalb das Sozialgericht von nur kurzfristigen Krankenhausaufenthalten in der BRD ausgehe. Mit Schriftsatz vom 16.04.2004 hat der Kläger ergänzend darauf hingewiesen, dass die Niederlassungsfreiheit für alle Europäer ein wichtiger Grundsatz des Europarechts sei, der durch Gesetze grundsätzlich nicht eingeschränkt werden dürfe (Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - vom 11.03.2004). Eine Ausnahme hiervon sei nur dann möglich, wenn dies aus überragenden Gründen erforderlich sei. Solche Gründe gebe es in seinem Fall mit Sicherheit nicht. Ihm sei bereits vor über 22 Jahren ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt worden. Sein Feriendomizil in südlicher Region sei hauptsächlich medizinisch begründet.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 27.04.2004 eingewandt, die Niederlassungsfreiheit gelte nur im Zusammenhang mit selbstständiger Erwerbstätigkeit und sei hier nicht einschlägig. Der Kläger solle konkret schildern, welche Zeiträume er in den letzten Jahren in Portugal bzw. in Deutschland verbracht habe und welche Planungen für die Zukunft bestünden.
Mit Schriftsatz vom 24.05.2004 hat sich der Kläger nochmals auf die Niederlassungsfreiheit für Europäer und das seines Erachtens einschlägige Urteil des EuGH berufen. Er habe keine Planung für die Zukunft, da er 76 Jahre alt und schwer krank sei. Er benötige den Schwerbehindertenausweis mit Vermerk "aG", um (Park)Plätze, die für Schwerbeschädigte reserviert sind, einnehmen zu können.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 08.01.2004 und des Bescheids vom 14.08. 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26.11.2002 zu verurteilen, seinen Schwerbehindertenausweis zu verlängern und ihm außerdem das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 08.01.2004 zurückzuweisen.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die beigezogene Akte des Beklagten, die Akte des vorangegangenen Klageverfahrens und die Berufungsakte Bezug genommen.
Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.
R/R2362
Informationsstand: 25.10.2005